Von Wolfgang Nagorske

Bruno D. ist 93 Jahre alt und stand in Hamburg zwei Jahre vor Gericht. Er war angeklagt, vor gut 75 Jahren im Konzentrationslager Stutthoff bei Danzig am Mord von 5230 Häftlingen beteiligt gewesen zu sein. Bruno D. war damals 17 Jahre alt und wurde als SS-Wachmann 1944 zum Dienst im KZ Stutthoff verpflichtet. Prozessbeobachter schildern Bruno D. eher als ein schlichtes Gemüt, der sich für Politik nicht interessierte. Als er gefragt wurde, was er von der Judenvernichtung wusste, sagte er: Über Juden habe er gewusst, was der Volksmund sagte, das sie am Krieg schuld seien und das sie von ihrem Eigentum weggebracht würden. Dieser Prozess hat wieder die Frage nach der Schuld aufgeworfen, kann man junge Menschen, die damals freiwillig oder widerwillig zum Krieg an die Front oder zum Wachdienst in einem Konzentrationslager verpflichtet wurden, als Mörder bezeichnen? Was kann ein 93jähriger noch zum finden der Wahrheit beitragen? Dieser Prozess wirft aber auch die Frage nach Gerechtigkeit auf. Warum wurden Leute, die im Nazi-Staat an vorderer Front standen nicht vor Gericht gestellt? Zum Beispiel Hans Globke, der im Reichsinnenministerium, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und verantwortlicher Ministerialbeamter für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung war. Nach dem Ende des Nazi-Regimes war Globke Chef des Bundeskanzleramtes unter Kanzler Konrad Adenauer. Oder Kurt-Georg Kiesinger. Er leitete den nationalsozialistischen Rundfunk unter Joseph Goebbels. Kiesinger brachte es später sogar bis zum Bundeskanzler. Unser Rechtsstaat steht vor der Frage seiner Glaubwürdigkeit. Sind jene, die mit Gesetzen und Worten den Massenmord an Juden vorbereiteten und wussten, was sie taten, ohne Schuld? Bruno D. sagte im Gerichtssaal von Hamburg: "Es tue ihm leid, welches Leid die Menschen, dort hätten ertragen müssen und dass er seinen Wehrdienst an einem solchen Ort des Grauens hatte leisten müssen." Zu solcher Erkenntnis ist Hans Globke nie gekommen. Bruno D., 93 Jahre alt, wurde nach Jugendstrafrecht zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.


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