Von Wolfgang Nagorske

 

Am 6. Juli 1938 trafen sich Delegierte aus 32 Staaten in dem französischen Badeort Evian-les-Bains am Genfer See. Es gab nur einen Punkt auf der Tagesordnung: Wie kann der in Deutschland und Österreich diskriminierten und geschundenen jüdischen Bevölkerung geholfen werden und wie viel jüdische Flüchtlinge ist jedes der Teilnehmerstaaten bereit, aufzunehmen. Die Flüchtlingsströme jüdischer Auswanderer aus Deutschland und Österreich stiegen 1938 stark an. Es ging um die Rettung von etwa 550.000 Menschen, von rund 350.000 deutschen und 200.000 österreichischen Juden. Neun Tage später endete die Tagung und ging als „Konferenz der Schande“ in die Geschichte ein. Schon vor Beginn stand die Zusammenkunft der Staaten aus Europa, Nord-und Südamerika sowie Australien und Neuseeland unter einem schlechten Stern. Der USA-Präsident Roosevelt, der Initiator der Konferenz, schlug als Verhandlungsort Genf, den Sitz des Völkerbundes vor. Doch die Schweiz befürchtete eine Belastung ihrer Beziehungen zu Deutschland und schlug das mondäne Evian am französischen Ufer des Genfer Sees vor. Was dann folgte wurde von Zeitzeugen als eine moralische Katastrophe bezeichnet. Der Vertreter der USA, berichtete über die anhaltend schlechte wirtschaftliche Lage. Aus diesem Grund bleibe es beim festgeschriebenen Kontingent von jährlich 27.370 Emigranten aus Deutschland und Österreich. Der britische Gesandte gab sich kurzsilbig und sagte: Großbritannien sei kein Einwanderungsland. Das britische Mandatsgebiet Palästina erwähnte er nicht. Gerade Palästina war in jenen Jahren der Sehnsuchtsort vieler jüdischer Auswanderer. Auch von den zahlreichen Kolonien nannte er nur Kenia, wo vielleicht einige hundert Flüchtlinge angesiedelt werden könnten. Der französische Botschafter beim Völkerbund klagte, Frankreich sei mit den schon beherbergten Fremden jenseits der Kapazitätsgrenze. Die spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir war Beobachterin in Evian und schrieb darüber: „Ich hatte Lust, aufzustehen und sie alle anzuschreien: Wisst ihr denn nicht, dass diese verdammten ‚Zahlen‘ menschliche Wesen sind, Menschen, die den Rest ihres Lebens in Konzentrationslagern oder auf der Flucht rund um den Erdball verbringen müssen wie Aussätzige, wenn ihr sie nicht aufnehmt?“ Auch das gehört zur Geschichte. In den Gedenkreden zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz fiel der Name Evian nicht.


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