Von Wolfgang Nagorske

 

Als der erste SED-Chef der DDR Walter Ulbricht vor 66 Jahren, nach der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes am 17. Juni 1953, den Künstler Bertolt Brecht aufsuchte und ihn kopfschüttelnd fragte, warum denn die Arbeiter gegen uns demonstrieren, wo wir doch alles für das Wohl des Volkes tun. Brecht antwortete viel sagend, irgendetwas müsst ihr falsch machen und wurde dann ironisch konkret: Dann sucht euch doch ein anderes Volk. Brecht konnte sich das erlauben, ohne Schaden zu nehmen. Auch Wochen nach der Europawahl, die den ehemaligen Volksparteien CDU und SPD eine verheerende Niederlage brachte, wird in den Wahlanalysen herum gerätselt, warum das Volk so gewählt, wie es gewählt hat. Und das, obwohl die Regierungskoalition, doch soviel für den Wohlstand des Volkes getan hat. Die Schelte an den Wähler geht mal versteckt aber auch unverhohlen an die Menschen im Osten Deutschlands. Sie hatten in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg die AfD zur stärksten Partei gewählt, aber auch in Sachsen-Anhalt und Thüringen fand die AfD starken Zuspruch. So das sich die Wahlkarte im Osten in blauer Farbe zeigt. Der Berliner Historiker Paul Nolte sieht die AfD als ein ostdeutsches Regionalphänomen. Ein Teil der Bevölkerung im Osten neige zu einem geschlossenen Weltbild und zu kultureller Einkapselung. Da ist er wieder, der dumme und unbelehrbare Ossi. Als ob die AfD nicht längst auch in allen westdeutschen Landesparlamenten vertreten ist. Einem Historiker sei seine intellektuelle Sicht auf politische Realitäten verziehen, den aktuell agierenden Politikern nicht. Wer immer noch glaubt, die AfD sei plötzlich und unerwartet wie ein Fluch vom Himmel gefallen und keine gründliche und vor allem unvoreingenommene Ursachenforschung anstrebt, der wird auch beim Ausgang der nächsten Wahlen wieder kopfschüttelnd und konsterniert auf die Wahlergebnisse starren. Mit einem unverrückbaren „Wir schaffen das“ wird es wohl nicht gelingen. Eine Ursache für das gespaltene Wahlverhalten der Deutschen liegt möglicherweise in der Angst eines „Wir schaffen das nicht“ begründet. Ein „Weiter so“ kann es für jene nicht geben, die Wahlen wieder gewinnen wollen. Dann blieb nur noch der Rat eines Bertolt Brecht. Doch Brecht ist nicht mehr da.


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