Wie ungleich ist Europa ?

Von Wolfgang Nagorske

 

Die jüngste Europawahl hat es deutlich gezeigt. Europa ist tief gespalten. Mehr noch: Nach dem personalpolitischen Kuhhandel, der Personen in führende Positionen brachte, die überhaupt nicht auf dem Wahlzettel standen, empfinden Millionen Wähler zwischen Irland und Zypern die Wahl als Farce. Warum wählen gehen, wenn hinterher doch anders entschieden wird, als die Wähler es wollten. Doch es gibt noch andere Symptome, die anzeigen, dass die Europäische Union in ihrem Zusammenhalt gefährdet ist. Der französische Ökonom Thomas Piketty hat in einer umfangreichen Studie nachgewiesen, dass die Ungleichheit in der EU gestiegen ist und damit auch die Armut. In den vergangenen rund 40 Jahren ist das durchschnittliche Einkommen des oberen einen Prozents der Europäer doppelt so schnell gestiegen wie das der unteren 50 Prozent. Piketty fordert diesen Prozess umzukehren, nur so besteht die Chance, dass die Bürger wieder Vertrauen in die EU gewinnen. Der französische Wirtschaftswissenschaftler fordert vier neue Steuern: eine Unternehmenssteuer für Großkonzerne, eine Steuer für Gutverdiener mit einem Jahreseinkommen über 200 000 Euro, eine Steuer auf Vermögen von mehr als einer Million Euro und schließlich eine vierte auf Kohlenstoffemissionen. Investiert soll das Geld in dem Land, in dem die Steuer erhoben wurde. Gleichzeitig sollen die Steuern und Sozialabgaben für Geringverdiener und die Mittelklasse gesenkt werden. Piketty und sein Team sind sich sicher, wenn es nicht gelingt, Europa steuerlich und sozial gerechter zu gestalten, werde sich die Spaltung innerhalb der Union weiter vertiefen. „Wir sind davon überzeugt, dass die Kluft zwischen den unteren sozialen Schichten und einer gesellschaftlichen Elite zur Ablehnung der EU geführt hat.“ Die Ökonomen erteilen auch der von Frankreichs Präsident Macron geforderte Transferunion eine Absage. Die soziale Ungleichheit muss in jedem einzelnen Land beseitigt werden. Das heißt: Nicht der reiche Deutsche bezahlt für den armen Griechen, sondern der reiche Grieche soll es tun. Und der reiche Rumäne zahlt für seinen armen Landsmann. Denn diese Superreichen gibt es auch in ärmeren Ländern. Diese bemerkenswerten Vorschläge liegen nun auf dem Tisch und es liegt an den Europapolitikern, ihre Umsetzung zu prüfen. Das erfordert Mut, vor allem Mut neue Wege zu gehen. Doch gibt es in Brüssel die Frauen und Männer, die bereit sind zu neuem Denken?


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