Die verengte Deutung des D-Day

Von Wolfgang Nagorske

 

Die Gedenkfeiern zum 75. Jahrestag des D-Days sind vorüber, die Kommentierung der Ereignisse in zahlreichen Medien zeigt allerdings eine verengte Sicht auf die Eröffnung der zweiten Front der Westalliierten während des 2. Weltkrieges. Den Tag der Landung von über 150 000 Soldaten aus den USA, Großbritanniens, Kanada und weiterer Verbündeten am 6. Juni 1944 in der Normandie als Beginn der Befreiung Europas vom deutschen Faschismus zu bezeichnen, wird den geschichtlichen Tatsachen nicht gerecht. An jenem Tag im Jahre 1944 standen die Truppen der Roten Armee bereits vor Warschau und Ostpreußen. Der größte Teil des Territoriums, der 1941 von der deutschen Wehrmacht überfallenen Sowjetunion war bereits befreit. Im Herbst 1941 sah die Lage anders aus. Der britische Botschafter schrieb aus Moskau: Die deutsche Wehrmacht zieht durch Russland, wie ein heißes Messer durch Butter. Erst in der Schlacht vor Moskau im November 1941 kam die deutsche Kriegsmaschinerie zum stoppen. Der russische Machthaber Stalin schloss eine Niederlage nicht aus und forderte eine zweite Front der Westmächte, um das faschistische Deutschland und seine Verbündeten zu schwächen. Der rapide Zusammenbruch der russischen Fronten war auch eine Folge des stalinistischen Terrors, der selbst vor der Liquidierung des russischen Generalstabs in den Jahren 1938 bis 1940 nicht halt machte. Die noch lebenden Generäle, wie Marschall Rokossowski, wurden aus den Lagern wieder an die Front geschickt. Mit dem Sieg in der Schlacht von Stalingrad im Februar 1943 leitete die Rote Armee die Wende im 2. Weltkrieg ein. Stalin sprach pathetisch von der Abendröte der faschistischen deutschen Armee, die in Stalingrad begann. Bis zum 6. Juni 1944 führte die Rote Armee noch opferreiche Schlachten, wie am Kursker Bogen und um die Befreiung von Leningrad. Bis zur Eröffnung der zweiten Front in der Normandie waren bereits mehr als fünf Millionen russische Soldaten für die Befreiung Europas gefallen. Die zweite Front beschleunigte den Zusammenbruch des Deutschen Reiches. Die Befreiung der Völker Europas vom deutschen Faschismus begann allerdings schon früher mit der Schlacht an der Wolga. Der Respekt vor den Opfern des russischen Volkes hätte es geboten, auch den russischen Präsidenten zu den Feiern in der Normandie einzuladen.


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